Intangible Archeologies

Wir laden Euch herzlich zur ersten Aktivierung von Cosmoaudiciones bei SAVVY Contemporary ein. Das künstlerischee Projekt von Miguel Buenrostro spürt den vielfältigen Verflechtungen zwischen dem Berliner Phonogramm Archiv und den hier archivierten musikalischen Welten nach, die von ihren Reisen über den Atlantik in die Amerikas und zurück erzählen.

ECOEIN (Ensemble de Cámara de la Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos) ist eine gemeinnützige Institution, die seit 40 Jahren ein ganzheitliches Kulturangebot macht. Eines seiner Aktionsfelder ist die Erforschung und Interpretation der indigenen Musik der Aymara- und Quechua-Traditionen Boliviens. Ausgehend von diesem technischen und philosophischen Wissen konzentriert sich die Gruppe auf die Schaffung zeitgenössischer Musik. 

ECOEIN ist eine ausgewählte Gruppe von sieben Musiker:innen, die sich der musikalischen Interpretieren, Unterrichten und Komponieren widmet und deren Philosophie sich an den Prinzipien des OEIN orientiert. Es wurde 2003 gegründet und hat seither sein eigenes Repertoire mit Werken bolivianischer und ausländischer Komponist:innen zusammengestellt, die speziell für dessen technische und ästhetische Entwicklung komponiert wurden.

Das ECOIN hat bisher Konzerte mit zeitgenössischer und indigener Musik sowie gemischte Konzerte und Workshops für den Unterricht von indigenen bolivianischen Instrumenten in Uruguay, Argentinien, Mexiko, Deutschland, Frankreich und der Schweiz gegeben.

Für intangible Archeologies haben sie ein Repertoire zusammengestellt, das direkt auf das im Archiv des Ethnologischen Museums in Berlin gefundene Hörmaterial Bezug nimmt. Das Archiv wird als eine archäologische Stätte wahrgenommen, die Rhythmen, Harmonien und Erinnerungen an die Kosmogonien der Quechua und Aymara enthält. Die Präsentation geht einher mit einem Gespräch über klangliche Extraktion und Restitution jenseits des materiellen Erbes.

ECOIN sind: Tatiana López, Andrea Alvarez, María Riqueza, Ariel Laura, Alvaro Cabrera, Romina Quisbert.

Über das projekt COSMOAUDICIONES

Ein künstlerisches Projekt von Miguel Buenrostro mit der Teilnahme von Laura Robles, Trigo Santana, Fabiano Luna, Robby Geerken,Tom Kessler, Ensemble de Cámara de la Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos, Eli Wewentxu, Huguette Tolinga und weiteren Beiträgen von Vanessa Engelmann, Julio Garcia, Brandon Labelle.

Cosmoaudiciones spürt den vielfältigen Verflechtungen zwischen dem Berliner Phonogramm Archiv und den hier archivierten musikalischen Welten nach, die von ihren Reisen über den Atlantik in die Amerikas und zurück erzählen. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist jene Haltung zur Welt, die der Linguist Carlos Lenkersdorf als Cosmoaudición bezeichnet. Wenn unsere Weltanschauung (Cosmovision) die Art und Weise ist, wie wir die Welt visuell wahrnehmen und interpretieren, dann wäre unsere Cosmoaudición die Art und Weise, wie wir die Welt durch den Akt des Zuhörens erleben (gefolgt von einer Cosmovivencia). Cosmoaudición heißt also, der Welt mit einer Haltung der Offenheit entgegenzutreten und über ihre Klanglandschaften mit ihr in Beziehung zu treten. Diese Haltung fragt nach dem geteilten Horizont, an dem Begegnungen möglich werden. Unter dieser Prämisse widmet sich das Projekt jenen Klangwelten und ihren relationalen Bedeutungsebenen, die in den Archiven der ethnologischer Sammlungen konserviert und aufbewahrt werden.

Das Berliner Phonogramm-Archiv wurde im Jahr 1900 von dem Psychologen Carl Stumpf gegründet, um phonographische Aufnahmen außereuropäischer Musik zu sammeln und aufzubewahren. Die Aufnahmen dienten als primäres Forschungsmaterial für jene Forschungsfelder, die wir heute als vergleichende Musikwissenschaft oder Musikethnologie bezeichnen. Die Hauptprämisse des Archivs war es, so viele Beispiele traditioneller Musik aus dem außereuropäischen Raum wie möglich zu sammeln, um Theorien über den Ursprung und die Entwicklung von musikalischen Strömungen aufzustellen und verfolgen zu können.

Das Archiv war Teil eines deutschen Kolonialapparats, in dem Reisende, Ethnologen oder Kolonialbeamte Aufnahmen von Musik und Stimmen an das Ethnologische Museum Berlin schickten und so die Sammlung stetig erweiterten. Zwischen 1893 und 1954 entstand in den ehemaligen deutschen Kolonien eine große Anzahl von Aufnahmen. Diese Tondokumente waren in koloniale Macht- und Wissensstrukturen eingebettet und haben zu ihrer Bewahrung beigetragen.

In unserer Auseinandersetzung mit dem Archiv als ethnographische Sammlung war die Beschäftigung und Anerkennung seiner kolonialen Gewalt unabdinglich. Eine Reflexion der hierin eingebetteten Machtstrukturen, Überlegenheitsfantasien und resultierenden Politiken des Archivierens waren ein wichtiger Bestandteil unseres Projekts.

Zugleich haben wir uns den musikalischen Aufnahmen mit einer Ethik des Zuhörens zugewandt: den in ihr implizierten Bewegungen, dem hier stattfindenden Austausch und einer Pluralisierung von Welten, jenseits eines lineareren Verständnis, hin zu musikalischer Zeitlichkeit.

Bei den von uns für das Projekt ausgewählten Aufnahmen handelt es sich um digitalisierte Tapes, die vorrangig Gespräche und musicas populares enthalten. Insbesondere letztere zeugen vom Widerstand und der Wiedergeburt rhythmischer Erinnerung, die von ihrer Reise über die Meere hinweg erzählt.

In einer Praxis kollektiven Zuhörens haben wir uns gemeinsam mit in Berlin lebenden Musiker*innen aus der Diaspora über unsere Hörerfahrungen ausgetauscht und mit musikalischer Improvisation auf die Aufnahmen geantwortet. Hierdurch öffnete sich ein Raum, um über Möglichkeiten der Restitution jenseits der Rückgabe materieller Güter nachzudenken.

Unsere listening practice haben wir als musikalische Performances und Präsentationen außerhalb der Institution auf den öffentlichen Raum ausgeweitet. Wir schlagen eine Form des  Listening-Sensing-Receiving von Musik vor, in der Rhythmus und Erinnerung neu verkörpert werden.

Die Performances und Kompositionen von Cosmoaudiciones laden die Zuhörenden dazu ein, über folgende Fragen nachzudenken:

Wie können wir uns der Zeitlichkeit der einst extrahierten Klang- und Bedeutungswelten wieder annähern? 
Wie können wir das Archiv mit Würde "erklingen" lassen?
Wie können wir das, was im Archiv abwesend bleibt, re-sozialisieren?
Wie können uns Hörpraktiken im Sinne der Cosmoaudicion dabei helfen, musikalische Welten (neu) zu begründen und sie wieder in einen bewegten Möglichkeitsraum zu überführen, anstatt sie statisch in Archiven zu konservieren?