Wi Di Mimba Wi 2022

Portrait by India Roper-Evans
Portrait by India Roper-Evans

Jean-Ulrick Désert ist der erste Empfänger von Wi Di Mimba Wi – einem neuen Kommissionspreis für Künstler:innen of Colour in Deutschland, der 2021 von der AKB Stiftung und SAVVY Contemporary ins Leben gerufen wurde.

ÜBER DEN PREIS
Dieser Preis stellt die Würdigung und Auszeichnung einer herausragenden künstlerischen Arbeit dar und ist darüber hinaus eine Einladung, durch die von SAVVY Contemporary gelebten Philosophien und Praktiken miteinander in Beziehung zu treten, Gedanken auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Mit dieser Initiative verfolgen wir das Ziel, eine starke Beziehung zu und Unterstützung für Künstler:innen of Colour in Deutschland aufzubauen, und somit langfristig ein Umfeld für eine reichere und vielfältigere Kulturlandschaft zu fördern.

Dank der großzügigen Unterstützung der AKB Stiftung erhält der:die ausgewählte Künstler:in ein einjähriges Arbeitsstipendium in Höhe von 30.000 EUR, Mittel für die Schaffung eines neuen Kunstwerks sowie kuratorische Unterstützung. Es ist geplant, die neue Arbeit bei SAVVY Contemporary und an anderen Orten auszustellen.

Das Preis richtet sich an alle in Deutschland lebenden Künstler:innen of Colour – ohne Beschränkungen hinsichtlich Medium, Altersgruppe oder Karrierestufe. Die Kandidat:innen werden von einem Beratungsgremium nominiert und von einer fünfköpfigen Jury ausgewählt. Dieses Programm ist ein langfristiges Engagement zum Aufbau nachhaltiger Förderstrukturen in der Kunstwelt. Das Stipendium wird alle zwei Jahre vergeben.

Die AKB Stiftung ist eine Stiftung mit Sitz in Einbeck, Deutschland. Sie wurde 1998 von Carl-Ernst Büchting gegründet.

SAVVY Contemporary ist ein unabhängiger Projektraum für epistemologische Vielfalt und radikale Gastlichkeit, der 2009 von Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung gegründet wurde.

ERKLÄRUNG DER JURY
Jean-Ulrick Désert wurde aus einer Shortlist, für die er zusammen mit Karimah Ashadu, Ana Paula Oliveira Martins dos Santos und Lerato Shadi nominiert worden war, von einer fünfköpfigen Jury ausgewählt. Bassam El Baroni (Kurator, Kunstkritiker, Dozent), Karina Griffith (Künstlerin und Filmemacherin), Otobong Nkanga (Künstlerin), Mirjami Schuppert (Kuratorin und Koordinatorin der WDMW für die AKB Stiftung) und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (Künstlerischer Leiter von SAVVY Contemporary) begründen ihre Wahl:

Das Werk von Jean-Ulrick Désert beeindruckt durch dessen Umfang und Einfallsreichtum. Seine jahrzehntelange Arbeit in Deutschland hat Räume für entscheidende Fragen und Praktiken geschaffen und geformt. Noch bevor viele von uns begannen, in der Stadt Berlin zu arbeiten, war Jean-Ulrick bereits da und hat die Arbeit geleistet, ohne die die meisten von uns nicht in der Lage wären, ihre Arbeit heute zu tun. Wir würdigen seine kontinuierliche Praxis und sein Werk mit diesem Preis.

Die Art und Weise, wie seine Arbeiten Orte, Ereignisse und Geschichte(n) in das Kosmische und das Kosmische in das Irdische und Alltägliche einbetten, ist komplex und vielschichtig und unterstreicht die philosophische und poetische Tiefe von Déserts künstlerischem Ansatz, der eine unglaubliche Anzahl von Registern durchquert: vom Politischen zum Spirituellen und von der Tragödie zur Komödie. Désert stößt, stupst und kitzelt die grotesken Figuren, die er auf der Leinwand und an öffentlichen Plätzen spielt, im übertragenen Sinne, um anhaltende affektive Reaktionen auf schwarze Erfahrungen in Europa zu provozieren.

Dieser Preis geht an Jean-Ulrick Désert für seine intensive Auseinandersetzung mit sozialen und kulturellen Praktiken. Seine Arbeiten haben die Kraft, die Betrachtenden auf fesselnde Weise zu aktivieren, Verbindungen herzustellen und miteinander verflochtene Geschichten aufzuzeigen. Seine Beschäftigung mit digitalen Technologien zeigt die komplexe Natur der Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft.

Déserts Praxis, sei es eine ortsspezifische öffentliche Installation oder ein Museumsdisplay, tritt in Dialog mit den ihn umgebenden kulturellen Traditionen und kommentiert auf eindringliche Weise die sozialen Beziehungen, die der Künstler um sich herum beobachtet. Déserts Arbeiten liegt eine beeindruckende Praxis der Recherche zugrunde, während sie gleichzeitig ein sehr persönliches Engagement und Verhältnis zu den Themen eines jeweiligen Projekts vermitteln. Seine Arbeit, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, blieb in ihrer Auseinandersetzung mit Identitäten und Identitätspolitik, mit gender und race kontinuierlich aktuell.

Wir sind sehr gespannt darauf, welche Form Déserts Wi Di Mimba Wi-Kommissionsarbeit annehmen und auf welche Wege sie uns führen wird. Im Rahmen des Preises werden seine Werke auch an weitere Orte und in Länder reisen, wo sie in neuen Kontexten gezeigt und ein weiteres Publikum ansprechen werden.

JEAN-ULRICK DÉSERT
"Ich möchte der Jury von Wi Di Mimba Wi meine aufrichtige Dankbarkeit für diese ermutigende Nachricht und für ihr Vertrauen in mich als ersten Träger dieses neuen Preises aussprechen. Ich bin mir der Verantwortung bewusst, die dieser Preis mit sich bringt, und ich freue mich auf die Künstler:innen, die noch folgen werden.

Der Preis kommt für mich zu einem entscheidenden Zeitpunkt – in meiner künstlerischen Praxis wie auch für uns alle. Wir befinden uns in einem Moment, in dem wir einen globalen Drehpunkt erreicht haben. Ein Drehpunkt, der von einem Virus und unseren Möglichkeiten für kollektive Aktionen der kreativen Produktion und Erfahrung abhängt. Jenseits von Krisen werde ich oft an den konkreten Rat erinnert, den mir Okwui Enwezor vor dreißig Jahren gab: "Schaffe relevante Arbeit!" Und in der Krise, in der wir uns gerade befinden, erfüllen kulturellen Werke ihre kritische Funktion im gesellschaftlichen Kontext.

Meine aktuelle Ausstellung in Berlin ist ein meditativer Balsam und beschäftigt sich mit dem Verfall autoritärer Schriftstücke sowie traditioneller (nicht-empirischer) astrologischer Analysen. Kurz gesagt, ich schlage durch künstlerische Erfahrung eine Brücke zwischen den materiellen und den immateriellen Archiven in der letzten Periode unseres Anthropozäns. Ich danke der Jury von Wi Di Mimba Wi für ihre Ermutigung, diese kritischen Archive zu erforschen, zu entdecken und aus ihnen zu schöpfen." –– Stellungnahme des Künstlers

Jean-Ulrick Désert, 1960 in Port-au-Prince/Haiti geboren, ist Konzept- und bildender Künstler. Seine Arbeiten variieren in ihrer Form: öffentliche Plakate, Aktionen, Gemälde, ortsspezifische Skulpturen, Video- und Kunstobjekte. Sie gehen aus einer Tradition konzeptioneller Arbeit hervor, die sich mit sozialen und kulturellen Praktiken beschäftigt.

Bekannt für »NH2K«, sein provokantes »Burka-Projekt« und seine poetischen „Göttinnenprojekte“, charakterisiert Désert seine Praxis als Visualisierung „auffälliger Unsichtbarkeit“. Er hat in zahlreichen Institutionen wie dem Brooklyn Museum, dem Contemporary Arts Museum of Houston, der Grey Art Gallery NYU/Studio Museum of Harlem, dem Walker Art Center in den USA, der Cité Internationale des Arts in Frankreich, der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Deutschland sowie in Galerien und öffentlichen Einrichtungen in Amsterdam, Rotterdam, Gent und Brüssel ausgestellt. Er erhielt Auszeichnungen und öffentliche Aufträge durch den Lower Manhattan Cultural Council (USA), die Villa Waldberta-München, die Kulturstiftung der Länder (Deutschland) und der Cité des Arts (Frankreich). Seine Abschlüsse erhielt er an der Cooper Union und der Columbia University und war Gastdozent und Kritiker an Universitäten in den Vereinigten Staaten (Princeton, Yale, Columbia), Deutschland (Humboldt Universität zu Berlin) und Frankreich (École supérieure des Beaux-Arts, Paris). Darüber hinaus berät und unterrichtet er am Trans Art Institute (New York). Sein Berliner Studio gründete er im Jahr 2002. Jean-Ulrick Désert war der für den Haitianischen Pavillon ausgewählte Künstler bei der 58. Venedig-Biennale, Italien.