EIN DESIGN DEPARTMENT:
HINTERFRAGEN VON KOLONIALITÄT
IN DESIGNTHEORIE UND -PRAXIS

Der Ausgangspunkt für ein DESIGN DEPARTMENT bei  SAVVY Contemporary ist große Verwunderung: Wie kann es sein, dass der allgemeine Designdiskurs trotz vielseitiger Bemühungen weitgehend unberührt von Fragen der vergangenen und gegenwärtigen Kolonialität geblieben ist? Wie kann es sein, dass gerade diese Praktik, die unser tägliches Leben, unsere Gewohnheiten und Wünsche inniger und nachhaltiger prägt als jede andere, irgendwie immun gegen die Proteste und Bemühungen anderer Disziplinen war, eurozentrische Vorurteile, (neo)koloniale Beziehungen sowie gewaltsames Schweigen und zum Schweigenbringen rückgängig zu machen? [1]

Für uns ist Design das, was in die Form von greifbaren und ungreifbaren Dingen eingeflossen ist, um unseren alltäglichen Interaktionen zu dienen, manchmal mit Zwang. Das heißt: für uns ist es die Praxis und das Ergebnis einer Transformation der Materie durch einen Agenten (die Designer*in – virtuell oder real, kollektiv oder singulär) entsprechend dem Zweck, den diese Materie für eine anderen Agenten (die Benutzer*in – virtuell oder real, kollektiv oder singulär) nach der Intervention der Designer*in haben soll. Dies führt zu einer ständigen Verhandlung und Neuverhandlung ihrer Wirkungskraft in einer weitgehend gestalteten Umgebung, wobei sie deren Absichten einerseits akzeptieren, andererseits aber auch ihren Weg durch sie hindurch hacken und rebellieren. Obwohl die gestaltete Welt, in der wir leben und deren Propositionen ständig mit uns kommunizieren – unterschwellig und doch hyperpräsent und in das Gefüge unserer täglichen Interaktionen, Handlungen und Nichthandlungen eingewoben – die Wege und Möglichkeiten der Interaktion und des Handelns bestimmt, ist sie keineswegs vorgegeben, in Stein gemeißelt oder unverrückbar. Gestaltung ändert sich entsprechend der grundlegenden Annahmen innerhalb bestimmter sozialer Kontexte (einschließlich ihrer politischen, wirtschaftlichen, spirituellen, philosophischen und sonstigen Dimensionen) und kann diese Annahmen wiederum verschieben, wenn eine Notwendigkeit dafür wahrgenommen wird. Gestaltung sammelt ihre eigenen Geschichten und ihr eigenes Stillschweigen, kann aber auch gegen sie agieren. Manchmal konfrontiert sie nicht nur die rebellische Seite ihre Zielgruppen, sondern auch die rebellische Seite der Materie selbst. Sie ist formbar, veränderlich und kontinuierlich in Feedbackschleifen zwischen Vorschlag und Antwort verfangen.

Bei  SAVVY Contemporary begreifen wir Gestaltung als eine performative und performende Entität. Sie ist wichtig und wirkmächtig eben aufgrund ihrer Allgegenwärt und ihres unterschwelligen Einflusses in der Ausformung von alltäglichen Interaktionen und Möglichkeiten. Aus diesem Blickwinkel wollen wir den oben gestellten Fragen begegnet und haben zu diesem Zweck das  Design Departmentmit drei Merkmalen entwickelt:

Erstens: Es ist ein langfristiges Forschungsprojekt. Ziel ist es, Designgeschichte, -praktiken und -philosophien jenseits des euroamerikanischen Kanons aufzudecken, indem wir uns auf vergangenes und zeitgenössisches Schaffen konzentrieren, das vor oder trotz der Hegemonie des "Westens" entstanden sind. Darüber hinaus hinterfragen wir die Mythen verschiedener Designbewegungen und Bildungsmodelle als inhärent "westlich", und konzentrieren uns auf die globalen Einflüsse und Verstrickungen in ihren Grundfesten sowie deren Beziehung zum Kolonialismus. Die dritte Säule der Forschung befasst sich mit zeitgenössischen Praktiken und den sich noch immer entfaltenden (neo-)kolonialen Vorurteilen in Designtheorie und -praxis. Um diese Forschungsziele zu verwirklichen, initiiert  SAVVY Contemporary eine offene Vereinigung von Forscher*innen, der alle Designer*in oder Forscher*in, die diesen Themen nahe stehen, beitreten können. [2]

Zweitens: Das  DESIGN DEPARTMENT ist eine praktizierende Einrichtung, die sich auf visuelle Kommunikation konzentriert, in dem es die Perspektive einnimmt, dass Design von Natur aus performativ ist. Als praktizierende Einheit ist es für den visuellen Aspekt der von  SAVVY Contemporary produzierten, gedruckten und bildschirmbasierten Kommunikation verantwortlich, beschäftigt sich aber auch mit experimentellen Ansätzen zu visuellen Sprachen sowie mit der Dekodierung und Rekodierung von visuellen Systemen und deren Vorurteilen. Diese Funktion liefert greifbare Ergebnisse und kann im Rahmen von praxisnahen Workshops eine größere Öffentlichkeit ansprechen.

Drittens: Das DESIGN DEPARTMENT hat den Drang, sein Wissen zu teilen und Einfluss darauf zu nehmen, wie Gestaltung gedacht, gelehrt und verbreitet wird. Diese dritte Funktion beschäftigt sich mit dem Schaffen von Dialogformaten und bietet eine öffentliche Plattform für den Diskurs über Gestaltung, die Forschung der beteiligten Forscher*innen sowie anderer eingeladener Praktizierender und Theoretiker, die unser Verständnis von der Komplizenschaft der Praktiken mit (neo-)kolonialen Macht- und Produktionsstrukturen sowie kleinen und großen Strategien des Widerstands durch Design erweitern.

Das DESIGN DEPARTMENT wurde 2018 von Elsa Westreicher, seit 2014 Grafikdesignerin bei SAVVY Contemporary, initiiert und hatte seine erste, noch lose, Umsetzung während eines Workshops 2017 am Royal College of Art auf Einladung von Dr. Rathna Ramanathan. Im Jahr 2019 wird das Design Department Hauptakteur bei SAVVY Contemporary sein, um im Rahmen des Projekts SPINNING TRIANGLES eine Designschule in Kinshasa (DRK) zu initiieren, die im Rahmen des 100-jährigen Bestehens des Bauhauses für einen Monat nach Berlin "exportiert" wird.

1

Abgesehen von Architektur, deren Forschung oft mehr Fragen und Forschung zu diesem Thema ergeben hat als andere Gestaltungspraktiken.

2

Bitte schreibe eine E-Mail an design@savvy-contemporary.com mit dem Betreff: Bewerbung Association of Researchers, in der Du kurz dein Interesse, bisherige Erfahrungen und den möglichen Beitrag, den Du leisten möchtest, darlegst. Wir werden uns mit dir bezüglich konkreter Kooperationsmöglichkeiten in Verbindung setzen.