WHOSE LAND HAVE I LIT ON NOW?
CONTEMPLATIONS ON THE NOTIONS OF HOSTIPITALITY

Photo: Raisa Galofre
Photo: Raisa Galofre

Weh mir! zu welchem Volke bin ich nun wieder gekommen?
Sind's unmenschliche Räuber und sittenlose Barbaren;
Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?

Odysseus bei seiner Rückkehr nach Ithaka (Sechster Gesang, Übersetzung nach J.H.Voß bearbeitet von E.Gottwein)

Das Unwahrscheinliche schien möglich im Sommer 2015, als sich Tausende von Zuwanderern, vor allem aus Syrien, auf den Weg nach Deutschland machten und Angela Merkel die Aussage "Wir schaffen das" prägte. Man erlebte den Aufbruch der Deutschen in die offene Gastfreundschaft, das Land feierte seine neu gewonnene "Willkommenskultur". Doch schon bald wurde aus dem Sommer der Gnade ein Herbst der Wut und ein Winter der Albträume, denn der anfängliche gute Wille schlug um in das Wiedererstarken der extremen Rechten in Deutschland. Heute geschieht vieles, was ein Nachdenken über Gastfreundschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt insgesamt erfordert. Ausgehend von Derridas Begriff der "Hostipitalität" – also der Präsenz von Feindseligkeit in jeder Gastfreundschaft und Beherbergung – trägt dieser Sammelband Originalbeiträge von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Dichter*innen, Kurator*inneen und Musiker*innen zusammen, die an unserem Projekt 2018 beteiligt waren, und lädt dazu ein, über unterschiedliche Erfahrungen und Vorstellungen von Gastfreundschaft nachdenken.

In einem Zeitalter blühender Ressentiments und Antipathie gegenüber allem, was konzeptionell oder physisch "fremd" / ein*e "Fremde*r" zu sein scheint, in einer Zeit, in der die historische Gewalt des Gastes (als Kolonisator) über die Gastgeber*innen wiederholt und verstärkt wird, in einer Ära, die Gastfreundschaft zu einer neoliberalen Ware gemacht hat, wird es dringend notwendig, die Machtgefälle der Gastfreundschaft neu zu überdenken.

Photo: Raisa Galofre
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Photo: Raisa Galofre
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Die Publikationen in der Reihe SAVVY Books reflektieren und dokumentieren die Aktivitäten und erweitern die Forschungs-, Diskurs-, Performance- und Kurationsprojekte von S A V V Y Contemporary. SAVVY Books zielt darauf ab, die epistemologische Vielfalt zu fördern in Einklang mit Boaventura de Sousa Santos Feststellung, dass „ein anderes Wissen möglich ist“. Indem wir die Grenzen und Fehler der akademischen Disziplinen anerkennen und für Prozesse des Verlernens eintreten, schaffen wir eine Plattform, die außerdisziplinäres Wissen bestärkt und unterstützen das Denken und Schreiben von Autor*innen, Künstler*innen, Philosoph*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, deren Praktiken westliche Erkenntnistheorien in Frage stellen und sich mit epistemischen Systemen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora, dem asiatisch-pazifischen Raum, dem Nahen Osten und Lateinamerika befassen.

Diese Reihe vereint  S A V V Y Contemporary und Archive Books in einer Zusammenarbeit, die auf dem geteilten Interesse an einer Vielzahl von Wissen jenseits des westlichen Kanons beruht. Gemeinsam verschreiben wir uns der Förderung von kritischen Diskussionen und dem Aufbau von neuen Kooperationen und Koalitionen. Wir betrachten die Bücher in dieser Reihe als „Grenzgebiete“, um einen Ausdruck der Chicana-Poetin und Feministin Gloria Anzaldúa zu verwenden, womit wir Räume meinen, in denen „eine neue Geschichte zur Erklärung der Welt und unserer Teilnahme daran“ erarbeitet und erzählt werden kann; Räume, in denen epistemologischer Ungehorsam (Walter Mignolo) und abweichendes Denken ausgeübt werden können.