Ecologies of Darkness.
Building Grounds on Shifting Sands
Ausstellung
Eröffung 10.01.2019 19:00
11.01.–26.01. 2019 Täglich 14:00–19:00
Mit Hera Chan & Xiaoshi Vivian Vivian Qin, Mandy El-Sayegh, Nilbar Güreş, Natasha Mendonca, Markues, Beatriz Santiago Muñoz, Pallavi Paul, Luiza Prado de O. Martins, Tabita Rezaire, Bahia Shehab, Sheida Soleimani, Ana Vaz, Helen Zeru, Pamela Z
Colonial Neighbours im Dialog mit Sepideh Rahaa
InCANTATIONS
25.01.–26.01.2019
mit Hera Chan, Xiaoshi Vivian Vivian Qin, Alexis Chan & Nhu Duong, Dilar Dirik, Övül Durmuşoğlu, Jeannette Ehlers, Giovanna Esposito Yussif, Karina Griffith, Shuruq Harb, Juliana Huxtable, Olivier Marboeuf and Ana Vaz, Jota Mombaça, Valeria Montti Colque, Pallavi Paul, Luiza Prado de O. Martins, Sepideh Rahaa, Tara Transitory & Nguyễn Baly, Airi Triisberg, Mikey Woodbridge and Lucio Vidal.
Führungen
16.01.2019 14:00
19.01.2019 14:00
22.01.2019 15:00
23.01.2019 14:00
24.01.2019 17:00
Die Mauer ist das Trennende zwischen ihnen, aber sie ist auch das, was es ihnen erlaubt, miteinander zu kommunizieren.
Und ich sage Symphonie anstatt Kakophonie, weil wir lernen mussten, diese Wut zu orchestrieren, damit sich uns nicht zerriss.
James Baldwin: Wir befinden uns hinter den Toren eines Königreiches, das uns zu zerstören trachtet.
Audre Lorde: Ja, ganz genau. Woran ich interessiert bin, ist, Sorge dafür zu tragen, dass wir die Bedingungen nicht akzeptieren, die unsere gegenseitige Zerstörung befördern. Ich denke, eine der Varianten, wie wir uns gegenseitig zerstören, ist, dass wir darauf programmiert sind, uns reflexartig auf unsere Unterschiede zu stürzen. Auf unser Geschlecht, unsere Sexualität… Ich kann Maskulinität nicht neu bestimmen. Und ich kann mit Sicherheit Schwarze Maskulinität nicht neu bestimmen. Ich beschäftige mich mit der Neubestimmung von Schwarzem Frausein. Du beschäftigst Dich mit der Neubestimmung von Schwarzer Männlichkeit. Und dazu sage ich: “Hey, bitte mach weiter,” denn ich weiß nicht, wieviel länger ich hier die Stellung halten kann, und ich habe wirklich das Gefühl, dass es Schwarze Frauen sind, die die Stellung halten und wir fangen an, sie auf eine Weise zu halten, die diesen Dialog immer weniger ermöglicht.
Wie viel länger kann ich die Stellung noch halten … [Ich halte] sie auf eine Weise, die diesen Dialog immer weniger ermöglicht. Audre Lorde legt ein erschreckendes Geständnis über die wahren Ängste ab, indem sie ihre Position innerhalb eines identitären Rahmens beschreibt, der unser Dasein in rassistischen, kapitalistischen und sexistischen Machtstrukturen definiert. Das Gespräch zwischen James Baldwin und Audre Lorde offenbart die Notwendigkeit, die multiplen, unterschiedlichen Geschichten und intersektionalen Kämpfe für Befreiung anzuerkennen, die gemeinsam mobilisiert werden müssen, um diesen Dialog zu ermöglichen. Wie lange konnte Lorde ihre Stellung halten? Und wie lange haben wir unsere Beteiligung aufgeschoben?
Audre Lorde: Wir müssen uns noch einmal genau anschauen, auf welche Weisen wir unsere geteilte Unterdrückung bekämpfen. Wenn wir es nicht tun, jagen wir uns gegenseitig in die Luft. Wir müssen damit beginnen, die Begriffe davon, was eine Frau ist und was ein Mann ist, neuzudefinieren, ebenso wie sie sich zu einander verhalten.
James Baldwin: Aber das verlangt nach einer Neudefinition der Begriffe der westlichen Welt…
Audre Lorde: Und wir beide müssen es tun.
Wenn hegemoniale Narrative uns teilen und dabei Kulturen der Narration, Sichtbarkeit und Erreichbarkeit produzieren und reproduzieren – oder wie Baldwin es beschreibt “Königreiche, in denen wir leben” – dann müssen wir unsere Positionen anzweifeln, um zu einer anderen Art von Freiheit zu gelangen, die uns ermutigt, unsere Unterschiede hervortreten zu lassen. Indem wir unsere Positionen verändern, bewohnen wir Gebiete von miteinander verflochtenen Existenzen, die in permanenter Bewegung sind. [2] Während wir uns bewegen und uns in Zusammenarbeit verrücken, brechen wir den Boden auf, reißen wir Wände ein und bauen neue Brücken.
Ich bin eine Bauherrin
Manchmal habe ich gut gebaut, doch oft
Baute ich, ohne Untersuchung des
Bodens
Auf den ich mein Gebäude stellte
Ich errichtete ein schönes Haus
Und ich lebte darin ein Jahr
Bis es langsam davondriftete mit den
Gezeiten
Denn ich baute das Fundament
Auf Treibsand
Wie errichten wir einen Grund auf Treibsand? Sind wir bereit, unsere Festung aufzugeben und ein Fundament für diesen Dialog auf „Treibsand“ zu bauen? In Angelous Gedicht bringt uns der Sand zurück zur Unordnung der Realität, des Lebens, des Körpers, und zu den Wirklichkeiten des Leidens, die uns die transformative Kraft des Mitgefühls lehren. Als Archiv von Gefühlen und Erfahrungen verbindet uns der Sand, wie Vanessa Agard-Jones schreibt, „unerschütterlich mit einem Ort, mit einer bestimmten Landschaft, die die Spuren von Verbindung und Verlust in sich birgt ...“ [3] Wie errichten wir Gemeinsamkeiten auf Treibsand? Wie graben wir Tunnel und Passagen, wie erschaffen wir sichere Räume? Wie eröffnen wir Kanäle der Vermittlung? Wie können wir uns um einen Dialog kümmern, der die Politiken der „Emanzipation aufgibt, die einige Privilegierte einbezieht, andere Stimmen jedoch ausschließt und auslöscht? Wie erschaffen wir neue Gemeinschaften und Gemeinschaftsgüter im Namen der revolutionären Kämpfe quer durch race, Klasse, Alter, Gender, Fähigkeiten und Sexualität? Chandra Talpade Mohanty fordert uns heraus und schreibt: „Tief sitzende rassistische und sexuelle Mythologien innerhalb der feministischen Gemeinschaften aufzulösen erfordert, ... sich ein den jeweiligen Geschichten der anderen gut auszukennen, ... unwahrscheinliche Bündnisse einzugehen... und die Bedeutung dieses Dialoges zu klären. Welche Bedingungen, Wissensformen und Einstellungen ermöglichen einen nichtkolonisierten Dialog?“[4]
Wir wollen unser unhinterfragtes Festhalten an hegemonialen feministischen Narrativen hinterfragen, in dem wir gemeinsam daran arbeiten, die intersektionalen Formen von Unterdrückung bloßzulegen, die so oft blind in dominierenden Diskursen perpetuiert werden. Wir wollen unsere individuellen und kollektiven Positionen fortwährend verlagern – und uns in Zusammenarbeit zu erschaffen und zu erneuern.
Um diesen Dialog auf Treibsand zu führen, verzichten wir auf eine Politik der neoliberalen Verzauberung, bei der „Differenz“, wie Sara Ahmed argumentiert, eine neoliberale Markenbildung ist, eine Ware, ein kompromittiertes Konzept, das diese Möglichkeit des Miteinandersprechens verunmöglicht anstatt sie zu verstärken. Unsere Resignation markiert somit eine Verweigerung: wir verweigern uns, wohlgefällig mit Ideologien umzugehen, die aktiv bestehende Modelle von Sozialität, Machtstrukturen und Beziehungen der sozialen Reproduktion wiedergeben. Durch unser gemeinsames Arbeiten und das Errichten von Fundamenten im Treibsand anhand von praktischen und theoretischen Gefügen, hinterfragen wir, wie und wo wir arbeiten. Wir stellen uns somit die Frage, ob es möglich ist, von bestehender, inklusiver, heteronormativer, emanzipatorischer, feministischer Politik Gebrauch zu machen, wenn häufig gerade diese Politiken der „Befreiung der Frau“ und der „Solidarität“ vielen von uns [queere Frauen und Männer, Schwule, Trans, Migranten und LGTBQI] keine Sicherheit gebracht haben.
Wir fordern eine Disidentifikation von toxischen Formen der Repräsentation; eine Disidentifikation, die politisches Handeln ermöglicht. José Esteban Muñoz beschreibt Disidentifikation als eine Strategie von People of Color, um in einer weißen, rassistischen Gesellschaft zu überleben, „eine Art mit der dominanten Ideologie umzugehen”, die sich weder mit solchen Strukturen identifiziert noch sich diesen widersetzt, sondern „an ihnen und gegen sie arbeitet.“ Er schreibt: „Anstatt sich unter dem Druck der dominanten Ideologie (Identifikation, Anpassung) zu krümmen oder zu versuchen, sich aus ihrem unausweichlichen Einflussbereich (Gegenidentifikation, Utopismus) zu befreien, ist dieses ‘daran und dagegen Arbeiten’ eine Strategie, die versucht, die kulturelle Logik von innen heraus zu verändern, in dem sie sich fortwährend bemüht, permanenten strukturellen Wandel einzusetzen bei gleichzeitigem Wertschätzen der Bedeutung lokaler oder alltäglicher Widerstandskämpfe." [6]
Wir sind uns darüber bewusst, dass Disidentifikation nicht immer die geeignete Strategie des Widerstands für jede*n ist. Für einige von uns jedoch ist Disidentifikation eine Überlebensstrategie.
Wir praktizieren Disidentifikation in Zusammenarbeit.
Solidarität basiert auf unserer Bereitschaft, unsere Positionen zu verändern, gegen uns selber zu denken, unsere Komplizenschaft mit gerade den Strukturen der Unterdrückung einzugestehen und aufzulösen, gegen die wir kämpfen; wachsam zu bleiben und uns darüber bewusst zu sein, dass jede*r von uns die Fähigkeit besitzt, einander zu verletzten und zu unterdrücken. Wie unsere Kollegin Giovanna Esposito Yussif beobachtet, sind unsere Formen des Widerstands weder anti noch unterdrücken sie andere; sie sind eine als Raum gedachte Poetik, in der wir eine neue Sozialität denkbar machen; ein „wir“, das weder singular-inklusiv noch exklusiv bezüglich Raum, Region oder Identität ist. Ob wir Schwester, Mutter, Frau, Schwarz, indigen, arm sind: wir navigieren diese Positionen und Zustände, um Wege für unser Denken und unsere Praxis zu ermöglichen, um Räume des Sichtbaren zu queeren, unser Wissen zu demontieren, zu reparieren und neu zu erschaffen.
"Die Poesie untersucht neue Wege, über die Menschen zusammenkommen und Zeug miteinander machen können, in aller Öffentlichkeit, im Geheimen.” [7]
Als Frauen und Kulturschaffende sind wir höchst inspiriert von einer Politik, die in die Kraft der Vorstellung investiert, in die Poetik als jenes „offene Geheimnis,“ das uns erlaubt, neue Chiffren der Vermittlung und stille Formen der Kommunikation und des Widerstands zu erfinden. Unsere Poesie ist Dunkelheit. Im Dunklen, in diesem Raum jenseits der Sphäre des Sichtbaren, experimentieren wir mit Formen des „Gemeinschaftens“ und der Solidarität und suchen nach gemeinsamen Strategien. In der Dunkelheit gestalten wir Bündnisse und Gemeinschaften, die, wie Olivier Marboeuf in seiner Analyse des Widerstands und der peripheren Bewegungen in Frankreich schreibt, „sich kurz zeig[en], bevor [sie] in [ihre] Anonymität zurückkehren. Der geisterhafte Körper ... der abnormale Körper, der uns davor warnt, das eine andere Welt jenseits des Sichtbaren existiert ...“ [8]. Marboeuf erinnert uns daran, dass diese Gemeinschaft der Widerständigen unsichtbar bleiben muss in einer kapitalistischen und kolonialen Politik der Sichtbarkeit, um unsere Wahrnehmung der Welt, die uns zum Konsum übergeben wurde, zu verändern. In der Dunkelheit erschafft die Peripherie ihre eigene Form der Sichtbarkeit, und fordert die Rückführung von kulturellen Wurzeln ein.
In der Dunkelheit hören wir zu und erzählen. Wir fokussieren uns auf das schwer Fassbare, das Unklare, das Unsichere, suchen nach tieferen Korrespondenzen und befassen uns mit der Arbeit des Sichtbarmachens, die notwendig ist, um die rassistische Politik der Verschleierung zu beenden. Wir beschwören Dunkelheit als Gestalter der Voraussetzungen der Sichtbarkeit von Übermittlungen. Dunkelheit als Archiv der Erfahrungen und Gefühle, Emotionen und Geschichten, aber auch als Ort des Widerstands. In der Dunkelheit zu sein, heißt Teil von ihr zu sein; es bedeutet, deine eigenen Leute zu sehen, wohingegen die Anderen, im Licht, Dich nicht sehen können. Es bedeutet, eine physisch anstrengende Aufgabe zu verhandeln, nicht aus einer nachdenklichen Position, sondern der aktiven Zusammenarbeit heraus. Um diese Dezentralisierung von Wissen zu aktivieren, müssen wir unsere eigenen Instrumente der Zusammenarbeit erschaffen.
„Wir werden gemeinsam oder gar nicht“. Die Aufgabe besteht darin, Dinge in Bewegung zu setzen, Risse zu provozieren, Arten der Verweigerung; Strategien gemeinsam zu entwickeln, die unsere überlieferten Wahrheiten problematisieren.
Wir kommen zusammen, um Unruhen zu stiften.
"In dringlichen Zeiten ist es für viele von uns verlockend, der Unruhe zu begegnen, in dem sie eine imaginierte Zukunft in Sicherheit bringen. (…) Unruhig zu bleiben, erfordert aber gerade nicht eine Beziehung zu jenen Zeiten, die wir Zukunft nennen. Vielmehr erfordert es zu lernen, wirklich gegenwärtig zu sein (…) [als] sterbliche Kritter mit unzähligen unfertigen Konfigurationen aus Orten, Zeiten, Materien, Bedeutungen.” [9]
Indem wir Wissen übermitteln und unsere Positionen verändern, entscheiden wir uns, unruhig zu bleiben und uns diesem schwierigen, aber nicht unmöglichen, Dialog zu widmen, Bündnisse in der Dunkelheit zu bilden, um gemeinsam auf eine Ausgestaltung neuer Formen von Sozialität hinzuarbeiten. In dieser nüchternen und mörderischen Gegenwart wollen wir einen Appell zum Dialog formulieren, der unsere Visionen in Richtung der „unvollendeten Konfigurationen von Orten, Zeiten, Materien und Bedeutungen“ neu ausrichtet –– hin zu Bündnissen in noch unbekannten Zukünften. Der dunkle Raum hielt sie zusammen.
We Who Are Not The Same
Übersetzung: Jonas Tinius und Anna Jäger
Kuratorinnen Elena Agudio, Nathalie Mba Bikoro and Federica Bueti
In Zusammenarbeit mit Kelly Krugman
Koordination Jörg Peter Schulze und Lema Sikod
KOMMUNIkATION Anna Jäger
KOMMUNIkATIONsASSISTenz Marleen Boschen
DESIGN Elsa Westreicher
ART HANDLING Abhishek Nilamber, Wilson Mungai, Kimani Joseph
Technik Bert Günther, Kamila Metwaly
Licht Emilio Cordero
Finanzierung Gefördert im Hauptstadtkulturfonds
PHOTO CREDIT Tabita Rezaire, Riding Infinity, 2018.
Audre Lorde, James Baldwin, ‘Revolutionary Hope’
Dieses Gespräch fand im Hampshire College in Amherst, MA, statt und wurde 1984 im Magazine ESSENCE veröffentlicht.
Alexander G. Weheliye, Habeas Viscus, Duke University Press, 2002.
Vanessa Agard–Jones, ‘What the Sands Remember’ in: Black/Queer/Diaspora at the Current Conjunction, Duke University Press, 2012, p.325.
Chandra Tapade Mohanty, Feminism Without Borders: Decolonizing Theory, Practicing Solidarity, Duke University Press, 2003.
Sara Ahmed, ‘Resignation, Disenchantment and Reenchantment’, (panel discussion), Colonial Repercussions: Planetary Utopias – Hope, Desire, Imaginaries in a Post-Colonial World, 23.06. 2018, Akademie der Künste Berlin.
José Esteban Muñoz, Disidentifications: Queers of Color and the Performance of Politics, University Minnesota Press, 1999.
Fred Moten, B Jenkins, Durham: Duke University Press, 2010.
Olivier Marboeuf, The Rioter and the Witch, 2013
Donna Haraway, Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt/ New York: Campus Verlag, 2018. (Original: Stay With the Trouble. Making Kin in the Chthulucene, Duke University Press, 2016.)