THE INCANTATION OF THE DISQUIETING MUSE:
Von Göttlichem, Supra-Realitäten oder der Austreiberei von Hexerei
 

 

The moth that enters
your house at night is a grudge
that somebody is holding
against you. It half-sits, bothered
by your light and the roof
over your head. It spreads
its small evening wherever
it lands, over the things
you love most. A dark tent
of dark intentions.

 

Vladimir Lucien, The Belief in Obeah

 

Jegliches Nachdenken über die “Zukunft” erfordert eine tiefgründige Betrachtung der Vergangenheit sowie der Gegenwart. Falls nicht, sind Diskurse über Zukünfte und Futurismen von vornherein eskapistischer Natur – faszinierend aus der Ferne aber weit entfernt fern von faszinierend bei näherer Betrachtung. Dieses Projekt schlägt daher vor, Hexerei und ihre Redewendungen, Sprichwörter, Metaphern, Symbole, Gesänge und anderweitigen Ausdrucksformen als Erscheinungen kultureller, ökonomischer, politischer, historischer, medizinischer, technologischer und wissenschaftlicher Infrastrukturen zu betrachten, auf welchen parallele Realitäten gebaut sind und auf denen Zukünfte gebaut werden können. Es wird Hexerei als einen epistemologischen Raum untersuchen und als ein Medium für Kontinuitäten zwischen dem afrikanischen Kontinent und der afrikanischen Diaspora betrachten.

 

Inadequately stressed are the aspects of witchcraft that emphasize interdependence and conviviality without obfuscating the individual or collective aspirations to dream, fantasize and explore new dimensions of being. A closer look at the everyday discourses and practices of Cameroonians suggests that witchcraft is about much more than just the dark side of humanity. As a multidimensional phenomenon, witchcraft is best studied as a process in which violent destruction and death are rare and extreme exceptions, employed mostly when all attempts at negotiating conviviality between the familiar and the undomesticated have been exhausted.

Francis B. Nyamnjoh, 2005

Detailfragen zu Fachausdrücken oder Urteilen darüber, ob Hexerei gut oder böse ist, sind hierbei nicht von Interesse. Vielmehr geht es um eine Verkomplexifizierung durch die Untersuchung von Konzepten des Übernatürlichen jenseits der Fehlannahmen westlicher Wissenschaft und Religion. Es geht darum, durch kritische Fragen neue Räume des Verstehens zu öffnen. Das Prisma von Kunst und Diskurs wird dabei eingesetzt, um Hexerei von seiner Verortung im “savage slot” zu befreien, wo sie seit Jahrhunderten von monotheistischen Religionen und der “Wissenschaft” eingesperrt wurde.

In einer Ausstellung und einer Reihe von Invokationen sind Künstler*innen, Kulturschaffende und Wissenschaftler*innen dazu eingeladen, über die folgenden Facetten nachzudenken:

Pour en Finir avec le Jugement de Dieu:
Die Austreibung von Hexerei im Ritual 


“Du sollst keine anderen Götter neben mir haben” – der biblische Leitsatz verurteilt noch immer rituelle Praktiken, die nicht mit monotheistischen Religionen konform sind. In diesem Ausstellungskapitel wird ‘Hexerei’ aus einer religiösen und rituellen Perspektive betrachtet, um zu exorzieren – nicht die Geister, die der Hexerei innewohnen, sondern vielmehr die Projektionen, die Hexerei auferlegt werden. Artauds “Pour en Finir avec le Jugement de Dieu” dient hier als Metapher von Hexerei als Anfechtung, als Durchkreuzen, als Rebellion gegen Religions- und Machturteile innerhalb kolonialer Unternehmungen sowie beim Verständnis von Hexerei als Verkörperung von und Zustimmung zu einer Vielzahl von Göttern, Gottheiten und anderen höheren Wesen.

Künstler*innenGeorges AdéagboHaris EpaminondaGeorges SengaVladimir LucienAndrew Tshabangu

 

Beyond Abyssal Thinking:
Hexerei als Epistemologie 


Praktiken von Hexerei umfassen einen Reichtum an unterschiedlichsten Wissenssystemen während gleichzeitig komplexe technologische Konzepte wie das binäre System, das unsere Computer kodiert, für viele eine Form von fortgeschrittener Magie darstellt. Dieses Kapitel zielt darauf ab, abyssisches Denken und epistemische Blindheit zu überwinden, um andere Wissensökologien (Boaventura de Souza Santos) zu erforschen. Dabei wird es sich mit Hexerei als Wissensproduktion und –verbreitung sowie als epistemologische Systeme beschäftigrn.

Künstler*innenEm’kal-EyongakpaLouis HendersonMarco Montiel-SotoEmeka OgbohBuhlebezwe SiwaniMinette Vari

Na who gi you for Nyongo?
Über Zombifizierungsökonomien


Dieses Kapitel spielt mit Überlegungen zu Erscheinungsformen von Hexerei aus ökonomischem Blickwinkel. Zombifizierung, also der Akt einen Menschen für ökonomischen Gewinn zu opfern, wird in auch Ekong (Douala), Nyongo (Bakweri), Shipoko (Mosambik), Obasinjom (Banyangi) etc. genannt. Sie kann verglichen werden mit Marx’ Überlegungen zu Entfremdung, da Lohnarbeit die Entfremdung vom Leben darstellt: man arbeitet nicht, um zu leben, sondern um Mittel zum (Über-)Leben zu erhalten während die Kapitalisten den Arbeitsprozess und das Produkt der Arbeit besitzen. Dies gilt ebenso für die Konzepte von Nyongo etc., die ausgelöst wurden mit Beginn des kapitalistischen Systems, im Zeitalter der Sklaverei.

Künstler*innenAtis RezistansSammy BalojiJean-Ulrick DésertDil Humphrey-Umezulike

we see am fo wata:
Über Supra-Realitäten und Soziopolitiken 


Anekdoten, Mythen und andere Erzählungen von Hexerei sind in vielen Gesellschaften omnipräsent – besonders in Afrika. Seien es die politischen Eliten, Familienbeziehungen, Heilungsaussichten, oder Machtbeziehungen; sei es in der Art wie eine Gesellschaft gebildet, geleitet und beschützt wird; sei es in literarischen, filmischen oder folkloristischen Ausdrucksweisen – all diese parallelen Realitäten bilden das Rückgrat der soziopolitischen Strukturen. Dies bildet sich ab in alltäglichen Ausdrücken: we see am fo wata (Haben wir im Wasser gesehen) ist eine gängige Antwort auf die Frage: Woher weißt du das denn? Es nimmt die Möglichkeit an, etwas zu wissen, das jenseits des Bereichs der Vernunft agiert, existiert und zum Ausdruck kommt. Es bedeutet, in den Abgrund des Unbekannten zu blicken, um Antworten auf Fragen zu finden, die erst noch gestellt werden müssen.

Künstler*innenKiluanji Kia HendaPatricia KaersenhoutAyrson HeráclitoPriscila RezendeNassim Rouchiche

The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Buhlebezwe Siwani | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Buhlebezwe Siwani | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Sasha Huber & Petri Saarikko | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Sasha Huber & Petri Saarikko | Photo: Hannes Wiedemann
I N V O C A T I O N S  The Incantation of the Disquieting Muse | Photo: Hannes Wiedemann
I N V O C A T I O N S The Incantation of the Disquieting Muse | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Nathalie Mba Bikoro | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Nathalie Mba Bikoro | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Ayrson Héraclito | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Performance by Ayrson Héraclito | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Nassim Rouchiche | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Nassim Rouchiche | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Keynote by Achille Mbembe | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Keynote by Achille Mbembe | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | DJ Set by Spoek Mathambo | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | DJ Set by Spoek Mathambo | Photo: Hannes Wiedemann
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Georges Adéagbo | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Georges Adéagbo | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Works by Sammy Baloji | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Works by Sammy Baloji | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Marco Montiel-Soto | Photo: India Roper-Evans
The Incantation of the Disquieting Muse | Installation by Marco Montiel-Soto | Photo: India Roper-Evans

 

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