Cures:
Chronic Promises

Keine Zuflucht
nur bewusstes Handeln;
Zu meinem Kind könnte ich sagen,
manche Wunden gehen tiefer
als das Fleisch. Tiefer und konkreter
als der Glaube an einen Gott
der deinen Blick im sterilen Himmel gefangen
halten würde anstatt
ihn auf das Stückchen Erde zu werfen
auf dem du täglich wandelst und sagt,
Fordere ihn zurück.

 Aber ich lasse es,
es geht eigentlich darum, das Heute zu kennen, und das Wie.
So weit ist es gekommen. Töchter
und Söhne werden jetzt geboren und könnten fragen –
stell dir das vor–: Warum hast du mich hierher gebracht,
obwohl dir deine Ohnmacht bekannt war?

  Ich könnte sagen:
Das Leben ist der unbestreitbare Maßstab.
Was du weißt, ist lediglich ein Startpunkt. Gehen wir also los. [...]

Auszug aus “Notes from No Sanctuary” von Keorapetse Kgositsile (eigene Übersetzung)
 

CURES: CHRONIC PROMISES (Heilungen: Chronische Versprechungen) eröffnet eine Ausstellungsreihe, die über die Kraft künstlerischer Übergänge nachdenkt und, einem Wolkenbruch oder Blütenschauer gleich, in viele miteinander verflochtene, aber dennoch autonome Gebilde des Ausstellens mündet. Vor dem schwierigen Hintergrund der (deutschen) Entkolonialisierung beschäftigt sich die Ausstellung mit Kunstwerken und Künstler:innen, die aus kollektiven Praktiken hervorgegangen sind. Dabei beschreibt das Kollektive eine Qualität alternativer Weltgestaltung, die sich derzeit im Fokus der globalen zeitgenössischen Kunst befindet.

CURES: CHRONIC PROMISES wirft eine Frage auf, die die konventionelle Vorstellung von der endlichen Zeitachse eines (körperlichen, psychischen oder ökologischen) Krankheitsverlaufs herausfordert. Wir fragen: Was ist, wenn Heilverfahren – ebenso wie Entkolonialisierung – keine Heilung hervorbringen? Wie stellen wir uns Dekolonisierung jenseits der Heilung vor? Diese Ausstellung befasst sich mit Künstler:innen in Kollektiven, Institutionen und Bewegungen, die utopische Vorschläge oder Versprechen für die Dekolonisierung gemacht haben. Indem wir uns ihnen über verschiedene Kunstgeschichten und Produktionsstätten annähern, treffen Werke, die zuvor in anderen Kontexten präsentiert wurden, auf nicht-westliche Beispiele der Moderne, während unterschiedliche Formen des Avantgardismus in der Zusammenschau mit zeitgenössischer nicht-objektbasierter Kunst wiederbelebt werden. Vor diesem ästhetischen Hintergrund setzen wir uns mit der kolonialen Geschichte Deutschlands und ihrer fortdauernden Präsenz auseinander, indem wir verschiedene Medien künstlerischer Übertragungen und unterschiedliche Episteme untersuchen: es geht uns dabei darum, uns in die Fragen hineinzudenken, anstatt unsere Brüche wegzuerklären. Wir verfolgen die Pädagogik und Methodik von Künstler:innen, die in kollektive Praktiken eingebunden sind, um von ihren Werkzeugen innerhalb ihrer unterschiedlichen Geografien und Traditionen zu lernen.

Die Ausstellung und die ihr zugrundeliegende Forschung untersuchen, was "Heilung" ist und welche Versprechungen sie macht. In den letzten Jahren finden wir uns in einer beunruhigenden Kluft und Zeit der Aufkündigung wieder, in der extremistische Ansichten gegen Dekolonialisierung kultiviert werden und konservative, autoritäre Positionen sich in die Strukturen eines vermeintlich demokratischen Lebens einschleichen. Diese Herausforderungen für emanzipatorische Kämpfe erfordern neue Bewertungen und Schöpfungen von Sprache, grundlegenden Werten und Räumen des Wohlbefindens. Vor diesem Hintergrund wird CURES: CHRONIC PROMISES mit den Künstler:innen die Knotenpunkte von Dekolonialität, Heilung und Kollektivität mit den Konzepten von Wunde, Mutterschaft und Chaos erweitern. Wir folgen dem Anthropologen Bharat Venkat in seiner These, dass die Idee einer endgültigen Heilung oft schwer fassbar und unbekannt ist. [1] Wenn wir an chronische Krankheiten mit unklarem, wenn nicht gar unmöglichem Ausgang denken, erkennen wir, dass auch unsere gebrochenen „post“-kolonialen Systeme Gemeinschaften im Versuch scheitern lassen, sich, meist ohne strukturelle Unterstützung, auf ihre eigenen Krücken zu stützen. Wir hoffen, Artikulationsweisen zu finden, indem wir das materielle Universum, die sprachlichen Fähigkeiten, die Performativität und die relationale Pädagogik von Künstler:innen betrachten, die sich in ihrem kreativen Schaffen mit den Vorstellungen von Wunde, Mutterschaft und Chaos auseinandergesetzt haben.

Kurieren und Kollektive arbeiten mit Symbolen und einer Katharsis des Ausdrucks. Die Symbole des Kurierens und der Kollektivität, die wir aus der Rekontextualisierung von Mutterschaft, Chaos und Wunde in den in der Ausstellung versammelten Kunstwerken ableiten können, beleben subjektive Erfahrungen neu. Mit der Absicht, westliche und hegemoniale Vorgaben von einer singulären, statischen, universellen oder linearen Seinsweise zu problematisieren, beziehen wir uns auf das „Chaos“ – das Édouard Glissant als eine Umarmung von Fluidität, Vielfalt, migratorischer Zerstreuung und widerstandsfähigen Transformationen beschreibt. Das Chaotische ist ein Prozess, der sowohl mit dem Veränderlichen als auch mit dem Regenerativen verbunden ist, wo (ver)störende oder konfliktreiche Nährböden für Übergänge nach fruchtbaren Erneuerungen rufen. In Wunden und Narben sind Geschichten und Traumata eingeschrieben, die ein ewiges Zeugnis für die dem Körper innewohnende Fähigkeit zur Heilung ablegen. Sie bedeuten Heilung ohne Vergessen und Wiederherstellung durch aufmerksame Pflege. Wir öffnen uns für die dynamischen Lektionen von Wunden, Mutterschaft und Chaos, die wir als Grundlage für kritisches Lernen verstehen sowie als Aufforderung, in der Krise Formen zu entwickeln, in denen sich Schutz und der Verwandlung überschneiden.

Ebenso wie die Krankheit umgeben uns auch die Partikel von CURES: CHRONIC PROMISES – weiche und harte, kleine und große, anerkannte und uneingestandene. Die Kunst der Gegenüberstellung ist „die Methode der Heilung im großen Stil“. [2] In der Ausstellung stellt die Verflechtung von Gegenüberstellungen – im Gegensatz zu Vergleich und Assoziation – eine Entfaltung politischer, ethischer und moralischer Möglichkeiten für Künstler:innen dar, ihre Utopien aufrechtzuerhalten. Können die Kräfte von Mutterschaft, Chaos und Wunde lebenspendende Träume von Utopien aufrechterhalten und verwirklichen? Die Dynamik des Gegenüberstellens ermöglicht es, dass Vorschläge funktionieren können, dass in der Kunst des Vorschlagens die Magie der Heilung und der Kollektivität liegt. Sie bringt uns zurück zu der Frage, wie diese symbolische Ordnung in der Chronizität des Lebens Sinn schafft.

Venkat verweist auf die genderspezifische Dichotomie innerhalb der Medizin und ihre üblicherweise männliche Sicht auf abschließende Heilung, der die Pflegearbeit gegenübergestellt ist – eine Praxis, die üblicherweise als weiblich und als Prozess ohne Ende angesehen wird. [3] In Bezug auf diese Kluft lädt uns Breya Johnson dazu ein, die in der Pflegeethik eingebetteten feministischen Genealogien weiter zu betrachten, die sich mit den Realitäten des Todes, der Behinderung oder den für viele Menschen vorherrschenden Möglichkeiten auseinandersetzen [4]: für ein Verständnis der “ausgeglichene(n) Wechselbeziehung” “unsere(r) Unterschiede” [5], die für den Abbau institutioneller Unterdrückungen notwendig ist. Indem sie binäre Weltanschauungen hinter sich lässt, stört die Ausstellung Monologe und besteht auf Formen des Gemeinschaftlichen, die durch Mutterschaft als eine Behandlungsmöglichkeit des gewalttätigen und unterdrückerischen Kontextes, in dem sie existiert, ermöglicht wurden. CURES: CHRONIC PROMISES zollt darüberhinaus einer der hartnäckigsten Erscheinungsformen der Kolonialität Tribut: Eine neu von SAVVY in Auftrag gegebene Untersuchung befasst sich mit der Geschichte von HIV/AIDS und dem kulturellen Schaffen, das die Erfahrung der nicht-westlichen Beziehungen zu dieser Epidemie begleitet. Die Offenheit dieser Forschung lädt zu weiteren Untersuchungen in den folgenden Ausstellungen ein.

    1

    Bharat Jayram Venkat (2021). At the Limit of Cure, Durham: Duke University Press.

    2

    Ibid.

    3

    Bharat Jayram Venkat: “At the Limits of Cure”, Lecture at the Center for South Asia at the University of Wisconsin-Madison, 15. September 2022, youtube.com/watch?v=MN3WA4V2gvY.

    4

    Breya Johnson, “Black Women Care Ethics, Radical Love, and the Anti-Black World”, March 27, 2022, youtube.com/watch?v=-KJFHOAFaVA 

    5

    Audre Lorde.1984. “The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House”, Sister Outsider: Essays and Speeches. Ed. Berkeley, CA: Crossing Press. 110–114.