TRANSITIONS
Zusammenführen von Diskursen, Ausstellungen, Nachbarschaften und Strukturen künstlerischen Übergangs
2024–2025
26.–27.04.2024 | Internationale Konferenz | |
09.05.–21.06.2024 | Ausstellung | |
22.06.2024 | Invocations | |
05.07.–23.08.2024 | Ausstellung | |
24.08.2024 | LABO*r. EIN AUFRUF ZUM HANDELN... EINE BASIS FÜR HOFFNUNG | Invocations |
13.09.–01.11.2024 | Society | Ausstellung |
02.11.2024 | Society | Invocations |
29.11.2024–24.01.2025 | Historical Children | Ausstellung |
25.01.2025 | Historical Children | Invocations |
2024–2025 | Wedding Affairs | Fortlaufendes Nachbarschaftsprojekt |
Das aktuelle künstlerische Programm von SAVVY Contemporary begreift koloniales Erbe und Dekolonisierung als Fakten und Praktiken des Übergangs. Seit der Gründung und damit seit 14 Jahren setzt sich die Organisation mittels der moralischen und ästhetischen Vorstellung von Dekolonisierung mit kolonialen Hinterlassenschaften und Tatsachen in und außerhalb Deutschlands auseinander.
Dekoloniale Übergänge
In den kommenden Jahren wird sich SAVVY Contemporary mit den anhaltenden Effekten der Kolonisierung und den dringenden Forderungen nach einer Form des Übergangs auseinandersetzen. Im Medium des Experiments operierend, wird SAVVYs Arbeit an „Übergängen“ erweisen, dass Dekolonialität. wie die Anthropologin Rosalind Morris sie beschreibt, uns in „unvollständig dialektische“ Lebens- und Kunstwelten eintauchen lässt.
SAVVY Contemporary imaginiert „Übergang“ als eine dekoloniale Praxis des Kunstschaffens, der Bildung, des öffentlichen Engagements und des Aufbaus von Institutionen auf lokaler und internationaler Ebene. Das fünfzehnmonatige Programm Transitions umfasst Ausstellungen, Community-Engagement, Konferenzen, Forschung, Auftragsarbeiten, Workshops, Performances, Live-Events, Radiobeiträge und Publikationen. Damit heben wir die Tatsache hervor, dass Dekolonisierung eine stetige, fortlaufende Praxis der Neudefinition, Neuausrichtung, Rückbesinnung und Rekonfiguration von Seinsweisen ist – im Plurilog mit einer Vielzahl von Gemeinschaften, Institutionen, Infrastrukturen und Kontexten.
Neue Übergänge erfinden
Deutschland kennt Übergänge sehr gut. Bewegt es sich doch von einem sogenannten „Post-“ zum nächsten: Von der Nachkriegszeit zum Kalten Krieg, vom Gastarbeiter zum Wirtschaftswunder, vom Mauerfall zu den Baseballschlägerjahren, von der Vergangenheitsbewältigung zum neu entdeckten Nationalstolz, von der postmigrantischen Gesellschaft zur Postdemokratie, wobei die rechtsextreme, faschistische AfD derzeit einen alarmierenden Zulauf quer durch die Gesellschaft erfährt. In den vergangenen Jahren wurde „Dekolonisierung“ zu einem weiteren, dringenden Übergangs-Interesse.
In der Kunst der letzten Jahrzehnte hat die Vorsilbe „De-“ in „Dekolonisierung“ Programme des Ent- und Neulernens in Gang gesetzt, die die Interventionen des Grundworts „Kolonie“ diversifizieren. Es handelt sich um einen Begriff, der großes Potential verspricht für viele Menschen, die reisen und sich niederlassen, um den Boden zu bebauen, Ressourcen für Produktivität zu gewinnen sowie Macht anzuhäufen, um den Reichtum der Generationen zu erhalten. Nun ist jedoch das Vokabular, das sich daraus ergeben kann, vor allem eines der Verweigerung, des Widerstands, der Restitution und der Abschaffung. In den deutschsprachigen Ländern ist das Konzept der Kolonisierung in einer Reihe von Quellen noch immer greifbar – angefangen mit dem preußischen Erbe und der Geschichte der internen Kolonisierung unter dem Begriff der preußischen Identität.
Wie ist das Erbe der Kolonisierung verstehen, wenn es doch so tief in der Geschichte verwurzelt ist? Wann und wie wurden beispielsweise Expeditionen zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse und zur Erschließung der neuen Welt zu gewalttätigen, unterdrückerischen Aufgaben? Um dies zu erfassen, ist es unerlässlich, die Übergänge zwischen Handlungen, Absichten und Aufgaben zu untersuchen. Für indigene Gemeinschaften bedeutet der Begriff „Entwicklung“ nicht den Übergang zu kollektivem Wohlbefinden, sondern Machtmissbrauch und die Auslöschung von Kultur und Tradition. In deutschen Schulbüchern und Medien werden jedoch immer noch problematische und konservative Darstellungen anderer Kulturen und kolonialer Subjekte vermittelt. Trotz eines inzwischen differenzierteren Diskurses über den Kolonialismus ist dieser nach wie vor selbst tief in kolonialen Werten und Materialien verwurzelt. Diese Manifestationen werden oft nicht als Probleme anerkannt, die Ansätze und Gegenmaßnahmen unterschiedlichen Maßstabes erfordern. Es überrascht zudem nicht, dass sich dieser ungelöste Zustand mit anderen zeitgenössischen Themen vermischt und den Kolonialismus zu einem gegenwärtigen, vielschichtigen, transhistorischen und mehr als lokalen Problem macht. Bis heute ringen ehemalige Kolonialstaaten darum, eine Sprache für Kolonisierung und Dekolonialität zu finden und Themen, Bedingungen und Verpflichtungen zu definieren, die vom Staat und seinen Bürger:innen, von älteren und künftigen Generationen, in der Politik und in der Realität diskutiert und bewältigt werden müssen. Kurz: Es müssen neue Übergänge erfunden werden.
Ein Kollektiv im Übergang
Der deutsche Kolonialismus, der oft als weniger tiefgreifend angesehen wird als der anderer europäischer Mächte, gilt als annexionistisch oder gemäßigt. Der utilitaristisch ausgerichteten Ideologie folgend wurden Landwirtschaft und Handel ausgebaut, um die sozialistischen Unruhen nach der Depression von 1870 zu unterdrücken. In liberalen Ideen verwurzelt, prägten Praktiken wie der Auswandererkolonialismus die deutsche Wahrnehmung der Kolonisierung und ließen diese als „ethisch notwendig“ erscheinen.
Auswanderung und wirtschaftliche Motive waren die treibenden Kräfte der deutschen Kolonialideologie, die in der Mittelschicht an Popularität gewann. Dies führte zu einer Institutionalisierung des Kolonialismus. Diese Geschichte wird in Diskussionen über Wiedergutmachung, Restitution, Gerechtigkeit und Entschuldigung jedoch leider vergessen. Um wirklich eine Dekolonisierung der deutschen Gesellschaft in Gang zu setzen, muss es einen Wechsel von reiner Theorie zu einer konkreten Bewegung und Organisation geben.
In Deutschland beschränkt die derzeitige diskursive Architektur die Untersuchung der Entwicklung dieser kolonialen Ideologien auf nationale und internationale Politiken – mit dem Fokus auf Themen wie Migration, Klimawandel, Arbeit oder auch Krieg und andere Konflikte. Einige Fachleute haben die Verbindung zwischen diesen Ideologien und dem späteren deutschen imperialen Projekt hergestellt, doch wird diese Verbindung in der Mainstream-Diskussion nach wie vor unterbewertet. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten, die das Netzwerk von Ideen und Maßnahmen in den deutschen Gebieten in Afrika und Ozeanien mit der Ansiedlung der Deutschen in Mittelosteuropa und Amerika vergleichen. Insofern klafft in der Diskussion über Kolonisierung und Dekolonisierung eine beträchtliche Lücke.
In dieser Kluft setzen die Experimente von SAVVY Contemporary an und treiben einen Prozess der „permanenten Übersetzung“ der Kolonisierung als Idee und Praxis an, die in Deutschlands Alltagsstruktur und im langen Bogen der deutschen Kolonialideologie koexistieren. Die alltäglichen Dynamiken des kolonialen Denkens übersetzend – und seine „Nicht-Übersetzung“ als legitimen Fortschritt der Geschichte befragend – richtet das Transitions- Programm unsere Aufmerksamkeit auf Segmente, Lücken, Fragmente und Muster der kolonialen Ideologie, Handlung, Fantasie und auf ihr Nachleben inmitten dringlicher aktueller Probleme, die die Erfahrungen von lokalen wie globalen Deutschen ebenso betreffen, wie die Gemeinschaften, die die deutsche Zivilgesellschaft ausmachen.
Das 15-monatige Programm TRANSITIONS wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.