Gardens in Transition. 
COMMITMENTS, OBLIGATIONS AND PRACTICES

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.

So beginnt Christa Wolfs Kindheitsmuster

Das aktuelle künstlerische Programm von SAVVY Contemporary begreift koloniales Erbe und Dekolonisierung als Fakten und Praktiken des Übergangs. Mit dem Medium des Experiments operierend, wird SAVVYs Arbeit an Übergängen aufzeigen, dass Dekolonialität, wie die Anthropologin Rosalind Morris sie beschreibt, uns in „unvollständig dialektische“ Lebens- und Kunstwelten versenkt. Zu diesem Zweck werden wir das Studium der Dekolonisierung in Methodik und Versammlungen vertiefen. Wir werden uns mit den historischen und aktuellen Verbindungen in den kolonialen, afro-asiatischen Beziehungen und dekolonialen Zukünften ebenso befassen wie mit dem Theater des “Developmentalismus” im Pazifischen Raum und der wenig beachteten Rolle deutscher Siedlungsbestrebungen – beispielsweise in der weitreichenden deutschen Geschichte der Migration in benachbarten Territorien. Diese korrespondierenden Geografien und ihre Geopoetiken verkomplizieren die Kolonisierung und Dekolonisierung, die möglicherweise in einigen diskursiven Milieus stagnieren.

In Deutschland verunmöglicht es die derzeitige diskursive Architektur, die Entwicklung dieser kolonialen Ideologien zu translokalen, supranationalen und extraterritorialen Politiken zu untersuchen, die Themen wie Gerechtigkeit, Bildung, Migration, Klimawandel, Arbeit oder auch Krieg und andere Konflikte betreffen. Die Diskussionen über Kolonisierung und Dekolonisierung klaffen weit auseinander. In dieser Kluft setzen die Experimente von SAVVY Contemporary den Prozess dessen fort, was Rada Iveković als "permanente Übersetzung" der Kolonisierung als Praxis und Konzept bezeichnet, die im täglichen Gefüge Deutschlands und im langen Bogen dieser Ideologie koexistieren. Durch die Übersetzung der alltäglichen und affektiven Dynamiken des kolonialen Denkens und durch die Betrachtung seiner "Nicht-Übersetzung" als legitimen Fortschritt der Geschichte richtet das Programm TRANSITIONS die Aufmerksamkeit auf Segmente, Löcher, Fragmente und Muster von kolonialer Ideologie, Handlung, Fantasie und Nachleben innerhalb der Wellen drängender zeitgenössischer Fragen.

Zur Eröffnung dieses neuen künstlerischen Programms lädt SAVVY Contemporary Euch alle zu einem zweitägigen Treffen von Künstler:innen, Denker:innen, Kulturschaffenden, kritischen Freund:innen und verbündeten Gemeinschaften unter dem Titel GARDENS IN TRANSITION. COMMITMENTS, OBLIGATIONS AND PRACTICES ein und damit zu einer globalen Konferenz über Dekolonisierung als eine Form des künstlerischen Übergangs. Analog zu vielen Traditionen des Gartenbaus ist dieser konferenzähnliche Beginn als Gelegenheit gedacht, sich vor der Arbeit des Planens, Instandhaltens und Umsetzens auszutauschen, wobei der Moment des Nachdenkens über die anstehenden Aufgaben dazu gedacht ist, Motivation und Ambitionen auszulösen. Damit zelebrieren wir das Innehalten ebenso wie wir die frenetische Aufbruchstimmung des Neubeginns genießen. Ein Warteraum, voll von zweiten Chancen: Wie können wir die Prozesse sanfter und angenehmer gestalten? Wie kann ich meine Kolleg:innen besser kennen lernen? Was können wir an der Art und Weise ändern, wie wir auf unsere Mitstreiter:innen zugehen? Was habe ich übersehen, als es zum Missverständnis kam? Wie können wir das noch einmal machen?

Entgegen produktionistischer Tendenzen erhofft sich unsere Vorstellung von einer Versammlung, dass Erneuerung, Erinnerung und Wiederherstellung zu Werkzeugen für eine kollektive Arbeit werden, die gegenseitige Unterstützung, Fürsorge und Schutz verspricht, wenn die Dinge schwierig, unerträglich oder schmerzhaft werden. Es geht uns um ein Zusammenzukommen, bei dem die Freuden und Klagen, die Bekenntnisse und Wünsche, die Sorgen und Emotionen oder auch das Misstrauen und die Bewunderung des anderen empfangen werden und mit dem weiten Feld der Transformationen zusammenfallen.

GARDENS IN TRANSITION begrüßt die Tatsache, dass der Übergang eine Welt der Organisation und der Unordnung schafft, die der Wildheit eines tropischen Gartens ähnelt. Für einige bleibt der Übergangscharakter der Weltgestaltung eine Metapher, die Formen und Übersetzungen erfordert; in anderen Kontexten geht es ums direkte Überleben. Da die moralischen Gräben immer tiefer werden, ist es eine größere Herausforderung, die Werte einer intersektionalen Bewirtschaftung und Aussaat vorzuschlagen, die sich mit gemeinsamen gesellschaftspolitischen Anliegen befassen kann. In Anbetracht dessen besinnen wir uns auf die Unregelmäßigkeiten des Übergangs, die über die Aussagen wie "Es muss sich etwas ändern" oder "Es wird nie wieder so sein wie früher" hinausgehen. Übergänge rufen eine Sprache hervor, die nicht vollständig übersetzt wird, sie zitieren lediglich, und dauerhaft, die Situiertheit derjenigen, die sich der Richtung einer neuen Ideologie, Bewegung und Fiktion verschrieben haben. Das Charisma einer solchen radikalen Veränderung ist etwas, das wir neben anderen Methoden, die uns zum kritischen Denken hingezogen haben, anbieten möchten.

Nicht alle Übergänge sind erfahrbar, zuordenbar oder erlebbar. Vor allem dann nicht, wenn sie in Kontexten vollzogen werden, die von ihnen verlangen, fundamentalistisch zu sein, zum Beispiel im Bereich der Eugenik. Jeder Versuch, das schwierige Jetzt zu überwinden und die missbräuchliche Vergangenheit zu reparieren, setzt uns einer langsamen Gewalt aus. Ist dies der Fall, wer kann sich dem verweigern und warum muss man den Übergang akzeptieren? Ist er ein Mittel für eine unmögliche Rückkehr? Wenn wir uns Übergänge innerhalb der Poetik und der Ethik ihrer Unausführbarkeit vorstellen, können wir uns dann vielleicht von dem wahnsinnigen Kreislauf der Entwicklung, des Fortschritts oder gar der Revolution abkoppeln? Dazu ist es notwendig, künstlich zu werden, das heißt sich künstlerisch zu verwandeln.

An zwei Tagen lindert GARDENS IN TRANSITION die Einsamkeit der (Selbst-)Reflexion, indem es den öffentlichen Raum mit künstlerischen Interventionen und poetischen Pausen choreografiert, die die Dauer des Diskurses und der Rede dehnen. Wir glauben, wie immer, an die Geselligkeit des Denkens und die Vielfalt des verkörperten Wissens. Unsere Tür steht offen, und wir bestehen auf einer Gastfreundschaft, die verschiedene Körper beherbergt: Wie können sie sich einander annähern? Und welche Lieder können sie umhüllen, wenn sie sich gegenseitig Taktiken, Geheimnisse, Wünsche und Kritiken zuflüstern? Wir wünschen uns einen Garten, der zu einem Dschungel erblüht! Um dieses Ziel zu erreichen, navigieren wir durch einen Wald von Ideen und Gesten, durch Flecken der Wertschätzung und des Wohlbefindens, die durch Gespräche und Diskussionen angeboten werden, die Praktiken, Verpflichtungen und Engagements fördern. Da wir uns von strikten thematischen Allianzen lösen, achten wir auf die Verflechtung dieser Handlungen und darauf, wie sie mit einer ethisch-ästhetisch bedeutsamen Vision für eine künstlerische Institution im Wandel zusammenhängen könnten.

GARDENS IN TRANSITION wird belebt von der Beziehung mit archipelagischen Konturen, einer kaum wahrnehmbaren Geräuschkulisse sowie Gebrauchs- und Dokumentationsobjekten aus und für Erinnerungen an heimische Gärten – eine szenografische Intervention, die von Felisha Carenage und Xavier Robles de Medina im Rahmen von BPA// Berlin program for artists konzipiert wurde. Sie durchbricht die gängige Vorstellung von einer Konferenz und belebt den Raum, um die Durchlässigkeit der Meinungen zu ermöglichen, Pausen einzulegen und sich von den Reden ablenken zu lassen. Diese Zusammenkunft ist auch als ein offenes Haus gedacht, in dem die Mitglieder von SAVVY Contemporary Projekte besprechen, an denen sie arbeiten, in dem Studierende mit den Forschungsthemen der Organisation interagieren können und das die Öffentlichkeit als Erholungsort besuchen kann.

Neue Übergänge müssen erfunden werden!